Die Auslegung des Testaments
Manchmal bedarf es in der Praxis der Auslegung des Inhalts von letztwilligen Verfügungen (Testament), da diese ohne fachlichen Rat erstellt wurden oder gar rechtliche Begriffe verwandt wurden, ohne dessen rechtliche Bedeutung zu kennen. Auch ist es manchmal der Formulierung in einem Testament geschuldet, dass verschiedene Deutungen möglich sind. Kommt man in einer Vorabprüfung der Testamentsurkunde zu dem Ergebnis, dass diese wirksam errichtet ist, ist weiter zu prüfen, ob diese auslegungsbedürftig und auslegungsfähig ist. Sollte dies der Fall sein, ist wie folgt weiter zu prüfen:
- Erforschung des tatsächlichen Erblasserswillens
Ausgangspunkt bei der Auslegung von Testamenten ist immer der wirkliche Wille des Erblassers, welcher zu erforschen ist. Ausschlaggebend hierbei ist ausschließlich die subjektive Vorstellung des Erblassers. Es ist zu fragen, was der Erblasser bzw. Testierende gewollt hat bzw. erreichen wollte. Dabei ist nicht an den buchstäblichen Worten, sondern von dem tatsächlichen Willen und wie der Erblasser diese verstanden hat, auszugehen. Hierbei ist der übliche Sprachgebrauch des Erblassers im Zweifel zu erforschen, um auf dessen wirklichen Willen Rückschlüsse ziehen zu können.
Soweit ein Testament auszulegen ist, sind auch Umstände außerhalb der Testamentsurkunde zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die allgemeine Lebenserfahrung des Erblassers, dessen Äußerungen gegenüber Dritten, ein vorausgegangenes materielles Testament, lebensgeschichtliche und regionale Bezüge des Erblassers zum Erben, die Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten oder gar dessen typischen Gepflogenheiten, wobei dahingehende Umstände nicht nur vor, sondern auch nach der Errichtung des Testaments liegen können. Zur Erläuterung des Gewollten kann der Erblasser auch auf außerhalb der Urkunde vorhandene nicht unterschriebene Schriftstücke Bezug nehmen.
Die meisten Streitigkeiten entstehen i.d.R. im Erbscheinsverfahrens beim Nachlassgericht oder im Zivilprozess, im Rahmen dessen jemand von seiner Erbenstellung ausgeht und den Erlass eines Erbscheins beantragt hat oder gar Rechte als Erbe gegen Dritte geltend macht. Im Rahmen des Erbscheinsverfahrens als auch im Zivilverfahren entscheidet das Gericht über die Auslegung des Testaments.
Im Hinblick auf die Formbedürftigkeit des Testaments muss nach der vom Bundesgerichtshof entwickelten sogenannten Andeutungstheorie der durch Auslegung ermittelte oder mutmaßliche Wille in dem Testament zumindest andeutungsweise (positiv) zum Ausdruck gekommen sein und darf die Auslegung nicht zu dem eindeutigen Wortlaut im Widerspruch stehen. Von dem buchstäblichen Willen kann nur abgewichen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, dass der Erblasser etwas anderes gemeint hat.
- Der mutmaßliche Wille des Erblassers
Führt die Auslegung des Wortlautes des Testaments und deren Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, sondern sind unterschiedliche Auslegungen möglich, ist nach dem mutmaßlichen Willen des Testierenden zu fragen, wobei hierbei eine sogenannte wohlwollende Auslegung dahingehend erfolgt, dass die allgemeine Lebenserfahrung und Vernunft herangezogen werden und der Inhalt der letzwilligen Verfügung dahingehend ausgelegt wird, wie der Erblasser bei objektiver Beurteilung der Gesamtumstände letzt endlich verfügt bzw. welche Regelung er getroffen hätte.
- Die ergänzende Auslegung des Testaments
Wenn der wirkliche Wille oder mutmaßliche Wille des Erblassers nicht festgestellt werden kann, ist die ergänzende Auslegung in Betracht zu ziehen, welche Lücken im Testament schließen soll, um zum Beispiel Veränderungen die vom Zeitpunkt der Testamentserrichtung bis zum Erbfall eingetreten sind, an den Willen des Erblassers anzupassen. Für die ergänzende Auslegung des Testaments ist in all den Fällen kein Raum, in welchen der Erblasser eine Veränderung der tatsächlichen Umstände im Testament berücksichtigt bzw. vorausgesehen hat.
Maßstab bei der ergänzenden Auslegung des Testaments ist hierbei die Frage, was der Erblasser in seinem Testament verfügt hätte, wenn er von den Änderungen Kenntnis gehabt hätte. Voraussetzung hierfür ist jedoch grundsätzlich, der unvollkommen aufgenommene Inhalt der letztwilligen Verfügung für die nunmehr veränderten tatsächlichen Umstände, da es andernfalls auch keiner ergänzenden Auslegung des Testaments bedarf. Die ergänzende Auslegung des Testaments kommt auch in all den Fällen in Betracht, in welchen der Erblasser aufgrund eines Irrtums die Verhältnisse falsch beurteilt und/oder falsche rechtliche Schlussfolgerungen gezogen hat.
Die ergänzende Auslegung erfolgt hierbei durch Prüfung, ob eine Lücke im Testament festzustellen ist, welche auszulegen ist. Sodann wird über die Erklärungs- und Inhaltsvorstellung des Erblassers hinausgehend unter Einbeziehung der Motive, die zur Aufnahme im Testament geführt haben, ein Vergleich mit der objektiv gegebenen Sach- und Rechtslage vorgenommen, im Rahmen dessen hinterfragt wird, ob der Erblasser von einer unrichtigen Wertung ausgegangen ist. Sollte der Erblasser von einer unrichtigen Wertung ausgegangen sein, so ist zu hinterfragen, welche Regelung er in seinem Testament bei richtiger Wertung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung getroffen hätte.
- Die wohlwollende Auslegung des Testaments
In dem Fall, dass der Inhalt eines formwirksamen Testaments derart Unbestimmtheit ist, dass kein eindeutiges Ergebnis durch Auslegung des Erblasserwillens bestimmt werden kann, was bereits gegeben wäre, wenn mindestens 2 Auslegungen denkbar sind und eine hiervon geeignet wäre, das Testament unwirksam zu machen, bestimmt die gesetzliche Auslegungsregel in § 2084 BGB, dass im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen ist, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann.
Sollten alle Auslegungsmöglichkeiten zur Nichtigkeit des Testaments führen, kann auch eine Umdeutung nach § 140 BGB in Betracht kommen.
- Die gesetzlichen Auslegungsregelungen
Letztendlich gibt es auch gesetzliche Auslegungsregelung für gewisse Konstellationen, welche jedoch grundsätzlich nur im Zweifel zur Anwendung gelangen, wenn die Ermittlung des Erblasserwillens und eine Auslegung im vorgenannten Umfang zu keinem Ergebnis führt.
Hierbei wird in den gesetzlichen Auslegungsregelungen von allgemeinen Erfahrungssätzen ausgegangen, welche eine widerlegbare Vermutung des Erblasserwillens statuieren. Kommt es zur Anwendung der gesetzlichen Auslegungsregelung, kann der Erbe oder sonstige Begünstigte dieser Auslegung nur entgegentreten, wenn es ihm gelingt, einen anderen Willen des Erblassers und insoweit einen Ausnahmetatbestand zu beweisen. Gelingt ihm dieser Beweis nicht, verbleibt es bei den allgemeinen Erfahrungssätzen aus der jeweiligen gesetzlichen Auslegungsregelung. Folgende Auslegungsregelungen des Erbrechts sind im BGB normiert:
§ 2101 BGB Noch nicht gezeugter Nacherbe
(1) Ist eine zur Zeit des Erbfalls noch nicht gezeugte Person als Erbe eingesetzt, so ist im Zweifel anzunehmen, dass sie als Nacherbe eingesetzt ist. Entspricht es nicht dem Willen des Erblassers, dass der Eingesetzte Nacherbe werden soll, so ist die Einsetzung unwirksam.
(2) Das Gleiche gilt von der Einsetzung einer juristischen Person, die erst nach dem Erbfall zur Entstehung gelangt; die Vorschrift des § 84 bleibt unberührt.
§ 2052 BGB Ausgleichungspflicht für Abkömmlinge als gewillkürte Erben
Hat der Erblasser die Abkömmlinge auf dasjenige als Erben eingesetzt, was sie als gesetzliche Erben erhalten würden, oder hat er ihre Erbteile so bestimmt, dass sie zueinander in demselben Verhältnis stehen wie die gesetzlichen Erbteile, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Abkömmlinge nach den §§ 2050, 2051 zur Ausgleichung verpflichtet sein sollen.
§ 2066 BGB Gesetzliche Erben des Erblassers
Hat der Erblasser seine gesetzlichen Erben ohne nähere Bestimmung bedacht, so sind diejenigen, welche zur Zeit des Erbfalls seine gesetzlichen Erben sein würden, nach dem Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile bedacht. Ist die Zuwendung unter einer aufschiebenden Bedingung oder unter Bestimmung eines Anfangstermins gemacht und tritt die Bedingung oder der Termin erst nach dem Erbfall ein, so sind im Zweifel diejenigen als bedacht anzusehen, welche die gesetzlichen Erben sein würden, wenn der Erblasser zur Zeit des Eintritts der Bedingung oder des Termins gestorben wäre.
§ 2067 Verwandte des Erblassers
Hat der Erblasser seine Verwandten oder seine nächsten Verwandten ohne nähere Bestimmung bedacht, so sind im Zweifel diejenigen Verwandten, welche zur Zeit des Erbfalls seine gesetzlichen Erben sein würden, als nach dem Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile bedacht anzusehen. Die Vorschrift des § 2066 Satz 2 findet Anwendung.
§ 2068 BGB Kinder des Erblassers
Hat der Erblasser seine Kinder ohne nähere Bestimmung bedacht und ist ein Kind vor der Errichtung des Testaments mit Hinterlassung von Abkömmlingen gestorben, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an die Stelle des Kindes treten würden.
§ 2069 BGB Abkömmlinge des Erblassers
Hat der Erblasser einen seiner Abkömmlinge bedacht und fällt dieser nach der Errichtung des Testaments weg, so ist im Zweifel anzunehmen, dass dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden.
§ 2071 BGB Personengruppe
Hat der Erblasser ohne nähere Bestimmung eine Klasse von Personen oder Personen bedacht, die zu ihm in einem Dienst- oder Geschäftsverhältnis stehen, so ist im Zweifel anzunehmen, dass diejenigen bedacht sind, welche zur Zeit des Erbfalls der bezeichneten Klasse angehören oder in dem bezeichneten Verhältnis stehen.
§ 2074 BGB Aufschiebende Bedingung
Hat der Erblasser eine letztwillige Zuwendung unter einer aufschiebenden Bedingung gemacht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Zuwendung nur gelten soll, wenn der Bedachte den Eintritt der Bedingung erlebt.
§ 2084 BGB Auslegung zugunsten der Wirksamkeit
Lässt der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zu, so ist im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann.
§ 2085 BGB Teilweise Unwirksamkeit
Die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen hat die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen nur zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde.
§ 2087 BGB Zuwendung des Vermögens, eines Bruchteils oder einzelner Gegenstände
(1) Hat der Erblasser sein Vermögen oder einen Bruchteil seines Vermögens dem Bedachten zugewendet, so ist die Verfügung als Erbeinsetzung anzusehen, auch wenn der Bedachte nicht als Erbe bezeichnet ist.
(2) Sind dem Bedachten nur einzelne Gegenstände zugewendet, so ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass er Erbe sein soll, auch wenn er als Erbe bezeichnet ist.
§ 2091 BGB Unbestimmte Bruchteile
Sind mehrere Erben eingesetzt, ohne dass die Erbteile bestimmt sind, so sind sie zu gleichen Teilen eingesetzt, soweit sich nicht aus den §§ 2066 bis 2069 ein anderes ergibt.
§ 2002 BGB Nacherbe und Ersatzerbe
(1) Die Einsetzung als Nacherbe enthält im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe.
(2) Ist zweifelhaft, ob jemand als Ersatzerbe oder als Nacherbe eingesetzt ist, so gilt er als Ersatzerbe.
§ 2104 BGB Gesetzliche Erben als Nacherben
Hat der Erblasser angeordnet, dass der Erbe nur bis zu dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses Erbe sein soll, ohne zu bestimmen, wer alsdann die Erbschaft erhalten soll, so ist anzunehmen, dass als Nacherben diejenigen eingesetzt sind, welche die gesetzlichen Erben des Erblassers sein würden, wenn er zur Zeit des Eintritts des Zeitpunkts oder des Ereignisses gestorben wäre. Der Fiskus gehört nicht zu den gesetzlichen Erben im Sinne dieser Vorschrift.
§ 2148 BGB Mehrere Beschwerte
Sind mehrere Erben oder mehrere Vermächtnisnehmer mit demselben Vermächtnis beschwert, so sind im Zweifel die Erben nach dem Verhältnis der Erbteile, die Vermächtnisnehmer nach dem Verhältnis des Wertes der Vermächtnisse beschwert.
§ 2161 BGB Wegfall des Beschwerten
Ein Vermächtnis bleibt, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist, wirksam, wenn der Beschwerte nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer wird. Beschwert ist in diesem Falle derjenige, welchem der Wegfall des zunächst Beschwerten unmittelbar zustatten kommt.
§ 2188 BGB Kürzung der Beschwerungen
Wird die einem Vermächtnisnehmer gebührende Leistung auf Grund der Beschränkung der Haftung des Erben, wegen eines Pflichtteilsanspruchs oder in Gemäßheit des § 2187 gekürzt, so kann der Vermächtnisnehmer, sofern nicht ein anderer Wille des Erblassers anzunehmen ist, die ihm auferlegten Beschwerungen verhältnismäßig kürzen.
§ 2268 BGB Wirkung der Ehenichtigkeit oder -auflösung
(1) Ein gemeinschaftliches Testament ist in den Fällen des § 2077 seinem ganzen Inhalt nach unwirksam.
(2) Wird die Ehe vor dem Tode eines der Ehegatten aufgelöst oder liegen die Voraussetzungen des § 2077 Abs. 1 Satz 2 oder 3 vor, so bleiben die Verfügungen insoweit wirksam, als anzunehmen ist, dass sie auch für diesen Fall getroffen sein würden.
§ 2350 BGB Verzicht zugunsten eines anderen
(1) Verzichtet jemand zugunsten eines anderen auf das gesetzliche Erbrecht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Verzicht nur für den Fall gelten soll, dass der andere Erbe wird.
(2) Verzichtet ein Abkömmling des Erblassers auf das gesetzliche Erbrecht, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Verzicht nur zugunsten der anderen Abkömmlinge und des Ehegatten des Erblassers gelten soll.